Integration Im Gespräch mit Bea Schwager von der SPAZ

Es ist heissester Sommer, als wir Bea Schwager das erste Mal über ihre Arbeit bei der SPAZ, der Sans Papiers Anlaufstelle Zürich, sprechen hören. Sie ist gemeinsam mit drei Frauen, die alle entweder einmal Sans Papiers waren, oder es immer noch sind, bei den enough. Aktionstagen auf dem ParkPlatz, um das zu tun, wofür die SPAZ neben der Rechts- und Sozialberatung auch steht: die Sensibilisierung der Bevölkerung und der Politik für das Thema und die Lebensumstände von Menschen, die ohne gültigen Aufenthaltstitel in der Schweiz leben.

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Als wir sie zum persönlichen Gespräch treffen, ist es bereits tiefster Herbst. Bea empfängt uns in der Kalkbreite, dort befindet sich die Anlaufstelle ihrer Büroräumlichkeiten. Als die SPAZ 2005 gegründet wurde, hat sie noch alles im Alleingang gestemmt. Mittlerweile besteht das Team aus acht Festangestellten in Teilzeit, sowie einigen Zivildienstleistenden und Freiwilligen.

Das Thema der Migrationspolitik beschäftigt sie schon seit ihrer Kindheit. Sie wuchs in einem Industriedorf auf, wo viele ihrer Mitschüler*innen und Nachbar*innen einen Migrationshintergrund hatten. Die Diskriminierung ihnen gegenüber spürte und störte sie schon damals. Als sie in ihrer Jugend politisch aktiv wurde, war das Thema entsprechend immer noch wichtig für sie. «Mitte der 90er-Jahre war ich Teil eines Freiwilligen-Projektes - oder besser gesagt: eines politischen Kampfes - mit abgewiesenen Asylsuchenden aus Sri Lanka, die illegalisiert worden sind», erinnert sich Bea. «Wir haben in Zürich ein sogenanntes ‘Wander-Refugium’, einen symbolischen Schutzraum, aufgebaut. Mit diesem sind wir etwa fünf Monate durch verschiedene Institutionen gezogen und haben so versucht, politisch etwas zu erreichen für die rund 50 abgewiesenen Asylsuchenden, die uns begleiteten.» 
Durch die mediale Aufmerksamkeit, die das Projekt erfuhr, kamen zunehmend mehr Sans Papiers aus der ganzen Schweiz nach Zürich, um Antworten für ihre - vor allem juristischen - Fragen zu finden. Als die Anwält*innen des Projektes an ihre Grenzen kamen, fing auch Bea an, sich autodidaktisch zunächst in das Asyl- und anschliessend ins Migrationsrecht einzuarbeiten.

In leitender Funktion der SPAZ ist dieses Wissen noch heute wichtig für ihre Arbeit. Sie und ihre Kolleg*innen sind zum einen beratend tätig und versuchen zum anderen politisch etwas zu bewegen: «Wir haben es über die Jahre - das kann ich so selbstbewusst sagen - auf jeden Fall geschafft, das Thema in der Stadt überhaupt zum Thema zu machen. Unsere Forderung ist dabei von Anfang an dieselbe: Wir fordern eine kollektive Regularisierung, wie sie in umliegenden Ländern bereits umgesetzt wurde. Vor allem in südeuropäischen Ländern, aber auch in Frankreich, Luxemburg oder Belgien.» 
Die Regularisierungsprogramme, auf die Bea verweist, geben Menschen ohne Aufenthaltsstatus die Möglichkeit, eine Aufenthaltsbewilligung durch die Erfüllung bestimmter Kriterien und einer Arbeitszusicherung zu erhalten. Und das ohne, dass jeder Fall individuell geprüft werden muss. «Also recht unkompliziert und unbürokratisch.» 

Das entsprechende Gesuch für eine Schweizer Umsetzung einer sogenannten kollektiven Regularisierung, das die SPAZ 2001 im National- und Ständerat vorgelegt hat, wurde deutlich abgelehnt. Die geschaffene Alternative dazu, eine sogenannte «Härtefallregelung» für Menschen, die nachweislich bereits sehr gut wirtschaftlich, sprachlich und sozial integriert sind, verspricht nur wenig Erleichterung: 
«Seit es diese Härtefallregelung gibt, also seit gut 20 Jahren, sind schweizweit ungefähr 10’000 Gesuche gutgeheissen worden. Bestimmt 9 von 10 davon in der Romandie. Die deutschsprachige Schweiz ist da wesentlich restriktiver. Im Kanton Zürich wurden in diesen 20 Jahren gerade mal 30 ausländerrechtliche Fälle gutgeheissen. Da kannst du dir vorstellen, dass wir den Sans Papiers eigentlich eher davon abraten müssen, so ein Gesuch zu stellen.» Denn jedes Gesuch bedeutet, alles offenlegen zu müssen: sämtliche Bekannte, Verwandte, Freunde, einfach alles. Und wenn das Gesuch abgelehnt wird, bedeutet das die definitive Ausschaffung aus der Schweiz.

Und das wäre für viele Sans Papiers und die Menschen, die von ihrem Hiersein abhängig sind, fatal. Denn meist ist es die Arbeit, die Menschen in die Schweiz zieht. Sie nehmen die prekärsten Lebenssituationen auf sich, wenn es nicht anders geht. «Viele Sans Papiers sind hier, um ihre Angehörigen im Herkunftsland finanziell zu unterstützen», weiss Bea. «Sei es die Ausbildung ihrer Kinder, weil jemand in der Familie krank ist oder weil es im Herkunftsland einfach keine Perspektive auf Lohnarbeit gibt. Das Einkommen einer einzelnen Sans-Papiers-Person ist meist die Lebensgrundlage für viele andere Personen. Und das, obwohl das Einkommen mit schätzungsweise durchschnittlich 1’500 Franken sehr gering ist.» 

Wie dieses wenige Geld verdient wird, ist noch mal eine andere Geschichte. Bea erzählt davon, wie gerade der Lockdown im vergangenen Jahr das Ausmass der unmenschlichen Bedingungen, unter denen viele Sans Papiers arbeiten müssen, verdeutlicht hat. Viele verloren ihre Arbeit und wandten sich an die SPAZ: «Plötzlich sind viele Menschen bei uns aufgetaucht, die uns wahnsinnig schlimme Sachen erzählt haben. Diese Menschen haben unter menschenhandelähnlichen Bedingungen gearbeitet.»
Bea erzählt von Menschen, die praktisch kein Wort Deutsch sprechen, die ausgelaugt und verängstigt sind über das Erlebte. Von Menschen, die einen kurzzeitig hinter die Fassade blicken lassen, dann aber mehrheitlich genauso schnell wieder dahinter verschwinden. «Ich finde einfach, es kann nicht sein, dass die Schweizer Bevölkerung und Wirtschaft von der Arbeit der Sans Papiers profitiert, aber man trotzdem nicht bereit ist, sie ihre Arbeit regulär ausführen zu lassen. Stattdessen lässt man sie unter menschenunwürdigen Bedingungen schuften und das finde ich stossend. Da müsste sich dringend etwas bewegen.» 

Wir haben lange versucht, einen versöhnlichen, heiteren Abschluss für diese Story zu finden. Doch alles, was Bea mit uns geteilt hat, ist wenig heiter. Das einzige, was Hoffnung gibt, ist ihre unermüdliche Motivation, sich weiter für Sans Papiers einzusetzen. Solange es Bea und ihre Kolleg*innen bei der SPAZ gibt, ist sichergestellt, dass das Thema nicht unter dem Radar verschwindet, so wie all die Menschen für die sie sich täglich einsetzt.

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